Hier gibt es kleine Notizen aus dem Lektorat
Warum nur, warum? Oder: Nicht nur Verbrecher haben Motive
Das Ende einer wendungsreichen Geschichte: Person A erhält endlich den ersehnten Job und möchte es Person B mitteilen. A setzt sich ins Auto, erreicht die Wohnung von Person B und kommt gerade rechtzeitig, um zu verhindern, dass B sich erhängt. Bei der Gelegenheit gesteht A die lange gehegte heimliche Liebe für B. Happy Ende für beide.
Wer jetzt glaubt, das sei ein gelungenes und spektakuläres Ende muss leider nachsitzen und zwar bei dem kleinen Wörtchen „warum?“. Warum nämlich hat A Person B nicht einfach angerufen? B hätte entweder das Gespräch angenommen und sich danach erhängt; oder B wäre, weil in der Umsetzung der Selbstmordes, nicht ans Telefon gegangen, und A hätte es später noch mal versucht, und es wäre für eine Rettung zu spät gewesen. So oder so: „Warum?“ macht diesen Plotpoint kaputt.
Wir machen als Autoren oft den Fehler, dass wir uns in Begeisterung für eine spektakuläre Wendung oder für einen emotionalen Höhepunkt nicht an das nahe Liegende halten. Wir spekulieren darauf, dass die Leser es uns danken, denn den Selbstmord einer geliebten Person verhindern, ist nun mal dramatischer als ein blödes Telefonat. Das stimmt aber nur bedingt, denn jeder Mensch (geistige Gesundheit vorausgesetzt, und wir möchten davon ausgehen, dass Menschen, die unsere Bücher kaufen, psychisch gesund sind) trägt den Plan einer sinnhaften Handlung in sich und legt diesen Maßstab auch an Figuren an. Demnach handelt eine Person so, dass sie ihr Ziel schnellst möglich und nachhaltig erreicht und dabei wenig Energie aufwenden muss (die Natur hat uns so angelegt, dass wir unsere Ressourcen schonen). Natürlich gibt es Ausnahmen: psychisch kranke Figuren etwa, deren Fähigkeit, sinnhafte Handlungen zu konstruieren, gestört ist; oder die Erzählform der Groteske. Man nehme etwa „Per Anhalter durch die Galaxis“: Ein Großteil der Komik in diesem Buch beruht darauf, dass Wesen eben nicht das nahe Liegende tun.
Für das oben genannte Beispiel aber gilt: Die schnellst mögliche Art, das Ziel zu erreichen (Mitteilung der Jobzusage) wäre eben das Telefonat; und es würde weniger Energie benötigen als eine Autofahrt. Die braucht hier tatsächlich nur der Autor, dessen Ziel ein dramatischer Höhepunkt ist. Wir dürfen also nicht unsere Idee einer wendungsreichen Geschichte über die möglichen Motive der Figuren stellen, sonst gerät unsere Geschichte in die Gefahr, überkonstruiert zu sein.
Natürlich können wir unser Finale retten: Person A empfindet ein Telefonat als unpersönlich, sie möchte B in den Arm schließen und die gute Nachricht mit einer Liebeserklärung verbinden. Mit dieser kleinen Ergänzung/ Verschiebung des Motivs ist wieder alles möglich. Hier offenbart sich sogar ein neues erzählerisches Vorgehen: Während A guter Dinge Auto fährt, erzählt man parallel, wie B den Selbstmord vorbereitet. Wird A mit dem zentralen Motiv „Liebeserklärung“ noch rechtzeitig eintreffen? Man sieht: Das kleine Wörtchen „Warum?“ kann nicht nur ein Spielverderber sein sondern auch ein Spielmacher.
Lass Blumen sprechen – oder Blumentöpfe singen
Menschen, die als Charaktere in Romanen denken, handeln und fühlen, sind uns vertraut, auch Tiere erleben wir bisweilen als Figuren. Dinge aber werden in Romanen selten zu Charakteren, das kennen wir nur aus Disney-Filmen, wo sie manchmal sogar singen und tanzen. Was steckt hinter dem erzählerischen Kniff, der Sachen zu Wort kommen lässt?
Das beseelte Handeln von Tieren und Dingen ist typisch für die Genre des Märchens und der Fantasy; im zeitgenössischen Roman (oder in der Lyrik) kommt es seltener vor und ist häufig ein Element der Satire. Eine Sache vertritt dabei häufig einen bestimmten Menschentypus oder eine Eigenschaft, die über die Verkörperung in einem Gegenstand hervorgehoben und persifliert wird. Im Roman „Mason und Dixon“ von Thomas Pynchon etwa gibt es einen Dialog zwischen zwei Uhren aus England, die sich über die Marotten der Uhren aus Holland lustig machen. Schon die Auswahl des Gegenstandes kann dabei ein Element der Komik sein, wenn z.B. leere Pizzaschachteln als „griechischer Chor“ das Leben in einer WG kommentieren. Aber auch ernste Töne können von Dingen kommen: Im „Heideröslein“ nach Johann W. Goethe heißt es: „Röslein sprach: ich steche dich,/ daß du ewig denkst an mich“. Jedem Leser ist klar, dass die Blume hier als symbolische Vertreterin spricht für bedrohte, aber wehrhafte Unschuld.
Entscheidend dafür, dass das poetische Mittel des Animismus funktioniert, ist die erkennbare Referenz. Das heißt: Leser müssen in der Lage sein zu erschließen, an wessen Stelle hier ein Gegenstand denkt, handelt und fühlt. Der symbolische Gehalt von Dingen ergibt sich aus kulturellen Konventionen. Eine Proberunde bei Testlesern lohnt sich durchaus und hält vielleicht auch einige inspirierende Überraschungen bereit: Man bittet die Testleser zu einigen Gegenständen (Kerze, Schuh, Saugroboter) Eigenschaften zu notieren. Wir können nicht wissen, was Dinge denken würden; wenn man sie daher als Charakter in einem Erzähltext aufbauen will, muss man sich auf eine Figurenidee festlegen, deren eigene Logik man nicht verlassen darf, auch wenn sprechende Dinge an der Wirklichkeit gemessen nicht logisch sind. Die Leser können sich also in einer Kerze wiederfinden, die traurig auf Sparflamme brennt; eine fliegende Kerze dagegen würde nur in der Groteske Akzeptanz finden, denn welche reale Referenzfigur kann schon fliegen?
Namen sind alles andere als Schall und Rauch
In Thomas Manns Novelle „Tristan“ wird an einer Stelle über eine Figur gesagt: „Aber er heißt Müller und ist überhaupt nicht der Rede wert.“ Menschen, die Müller, Meier, Schmidt und Schmitz heißen, werden ihre Nachnamen selten in Heldenrollen finden, es sei denn, es geht um die Helden des Alltags wie in „About Schmidt“. Jeder Autor weiß instinktiv, dass die Namen, die man seinen Figuren gibt, mehr sind als eine bloße Bezeichnung, sie haben eine Bedeutung.
Der sprechende Name ist das deutlichste Beispiel für eine Aussage, die in einem Namen steckt. Mit dem „telling name“ wird gerne in Kinderbüchern gearbeitet oder in der Satire: Flora Blumig mag es da gerne grün, und Herr Grummel hat immer schlechte Laune.
Namen, die eindeutig einem bestimmten Kulturkreis zuzuordnen sind, lenken ebenfalls die Vorstellung der Leser über die Figuren: So stellen wir uns eine Fatima eher dunkelhaarig vor und einen Rasmus blond, und Herr Ishimaru ist natürlich Japaner und Alois kommt vermutlich aus Bayern.
Subtiler ist der Einsatz von Namen, die eine kulturelle Bedeutung haben: „Siegfried“ etwa lässt die meisten Mitteleuropäer an den blonden Recken aus der Nibelungen Sage denken. „Elisabeth“ ist für uns der Name von Kaiserinnen und Königinnen. Mit der Wahl dieser Namen trifft man auf subtextlicher Ebene bereits eine Charakterisierung.
Während es sich bei diesen beiden Beispielen leicht erklären lässt, woher unsere Erwartungen stammen (aus der Geschichte), ist es bei anderen Namen ein sozialer Erfahrungswert, der die Figur skizziert. Zum Beispiel Frau Meier-Saalheimer (kurze Pause an dieser Stelle, um einer inneres Bild entstehen zu lassen …) Sie ist vermutlich älter als 40 Jahre, trägt kunsthandwerklichen Schmuck und könnte von Beruf Lehrerin sein oder Kuratorin.
Warum?
Frau Krause dagegen hält an der Tradition des Sonntagsbratens fest und weiß immer, was in der Nachbarschaft vor sich geht.
Solche Konotationen unterscheiden sich je nach Region und persönlicher Erfahrung, können aber dennoch auf eine kollektive Erwartungshaltung treffen, derer man sich als Autor bewusst werden sollte; ich hörte beispielsweise einmal: „Ein Florian kann einfach kein brutaler Mensch sein.“
Kleiner Tipp für den nächsten Roman: Die Namen der Hauptfiguren im Freundeskreis testen: Was erwartet ihr von einer Figur mit diesem Namen? Die Antworten können recht inspirierend sein.
Ach herrje, das Exposé ...
Egal ob 600 Seiten Epos oder kleiner 200 Seiten Roman: Das Exposé ist für viele Autoren eine regelrechte Strafarbeit, dabei geht es eben ohne nicht: Für Bewerbung bei Agenturen, Stipendien oder Verlagen braucht es eine Zusammenfassung, die mehr ist: Sie soll Lust aufs Lesen machen, die Qualitäten des Textes deutlich zeigen.
Jeder Autor ist aber an seinem Text nahe dran, das ist etwa so, als würde man mit der Nase dicht an einem Bild stehen -- wie soll man da beschreiben, was zu sehen ist? Hier ein kleiner Tipp, um Abstand zu gewinnen: Kurzkritiken von Filmen in der Programmzeitschrift lesen. Sie sind nach dem immer gleich Muster aufgebaut: Erst eine Zusammenfassung, ein paar Zusatzinfos, die bemerkenswert sind, und eine Aussage darüber, ob sich das Einschalten lohnt. Diesen letzten Punkt kann man als Autor außer Acht lassen, aber insbesondere die Zusammenfassung hilft dabei, sich in der Verknappung zu üben.
Kleine Übung: Nach einem Film suchen, den man kennt. Selbst eine Zusammenfassung schreiben, die dem Format der TV Zeitschrift entspricht, mit der abgedruckten Form vergleichen. Wenn man das einige Male durchgespielt hat, geht man so an den eigenen Roman. Wichtig: Als erste Fassung eine möglichst knappe Form wählen, denn es ist immer schwerer, aus einem langen Exposé etwas zu kürzen, als bei einem kurzen etwas zu ergänzen. Am besten beginnt man mit einem 3-Sätze-Pitch: Wer (handelt)? Was (geschieht - wesentlicher Plotpoint)? Warum (ist die Geschichte lesenswert, warum hat man sie erzählt)?
Agenten und Lektoren haben wenig Zeit. Es empfiehlt sich daher, das kleine Pitch dem Exposé voran zu setzen.